Krautrock Towers präsentiert mit besonderem Stolz ein Interview mit einem Mann, dessen musikalischer Lebenslauf mehr klassische Aufnahmen einschließt, als die überwältigenden Größen seines Genres während der Siebziger: Wallenstein, Kosmische Kuriere, Tarot, Klaus Schulze und Ash Ra Tempel. Es wäre durchaus berechtigt zu behaupten, dass ohne Harald’s Beitrag, Werke wie Blitzkrieg, Moondawn*, Correlation usw. heute nicht dieselbe Klasse und Stil hätten. Sich nicht auf diesen Lorbeeren ausruhend, kreierte Harald 1980 sein allseits anerkanntes und gelobtes Album „Synthesist“ und hat es seither abgelehnt, sich in irgendeine leere Kategorie quetschen zu lassen. Von den verrückten Siebzigern über afrikanisches Trommelspiel bis hin zu Techno. Lies nur weiter! Welche Schlagzeuger haben dich inspiriert die Trommelstöcke in die Hand zu nehmen und Schlagzeug zu spielen? Das waren Ringo Starr und Peter Lauenstein, ein Schlagzeuger, der um die Ecke wohnte. Später war ich sehr enttäuscht zu hören, dass eine Menge der Schlagzeugaufnahmen bei den Beatles von Paul McCartney und anderen Studioschlagzeugern eingespielt wurde. Ich sah auf Deiner Webseite, dass sich eine der Bands, in denen Du zuerst spieltest, „Die Scorpions“ nannte. Sind das dieselben Scorpions, die in den Achtzigern groß raus kamen? Ja. Ich verbrachte meine Kindergarten - und Schulzeit zusammen mit Rudolf Schenker, dem Kopf der Scorpions, und später einige Monate in der damals noch vollkommen unbekannten Rockband. Wallenstein war ja so etwas eine multinationale Band. Wie seid ihr alle zusammengekommen? Das war rein zufällig. 1970 teilte ich ein kleines Haus mit einigen Hippies und zugekifften Freaks, bis eines Tages ein Kumpel Jürgen Dollase [...] zu diesem verrückten Ort mitbrachte. Deren Verabredung mit einem Drummer, von dem sie angenommen hatten, er würde für sie spielen, war geplatzt. Mein Kumpel hatte ihnen erzählt, er kenne einen Schlagzeuger (nämlich mich) sowie ein Platz zum Schlafen. Es schien, dass mich mochten. Ich konnte meine Technik am Schlagzeug ihnen gegenüber nicht beweisen, weil meine Trommeln gerade während einer der zahllosen, wilden und spontanen LSD Sessions im Haus, in ihre Einzelteile zerlegt worden waren. Also packte ich mein Zeug und ging. „Blitzkrieg“ war geboren, später in Wallenstein umbenannt. Der Name wurde geändert, weil eine britische Band bereits diesen provokativen deutschen Namen benutzte. Hast Du irgendeine Ahnung, was mit den Wallensteinmitgliedern passierte, welche auf den ersten Alben spielten? Nach einer LSD Session drehte Jerry Berkers, unser niederländischer Bassist, während der Aufnahmen zu seinem ersten Soloalbum durch. Er hatte mit einer Fahrstuhlmusik spielenden Dancefloor-Band in Australien einen Auftritt gehabt, als sie ausgerechnet von der US Army entdeckt wurden. Die Band wurde angeheuert, für kämpfende US-Soldaten in Vietnam zu spielen. Nachdem eines der GoGo-Girls während einem ihrer Gigs von einem Scharfschützen erschossen wurde und er einen ziemlich schlimmen Panzerangriff miterleben musste, gab er diesen Horror auf und ging zurück nach Europa. Sie brachten ihn im Anschluss (an die Aufnahmen zu seinem Soloalbum) in eine Psychiatrie. Er wurde nie wieder normal. Ich verlor den Kontakt. Gitarrist William “Bill” Joseph Barone, ein Italo-US Amerikaner ging zurück nach Philadelphia, nachdem er sich von Wallenstein trennte. Unser letztes Telefongespräch war im Jahre 1980, als ich in Hawaii auf Urlaub war. Dieter Meyer, der andere Bassist, starb 1986 unter tragischen Umständen an den Folgen schweren Alkoholmissbrauchs in einem Krankenhaus in Mönchengladbach. [Text editiert am 28.09.2006] Unser dritter Bass-Spieler, Jürgen Pluta, war ein ziemlich gesunder Charakter. Ich traf ihn nach mehr als 20 Jahren vor knapp zwei Jahren wieder. Er arbeitet immer noch als Lehrer für Sport und Musik, sieht ziemlich jung aus und produziert Techno mit einem (in Deutschland) gut bekannten Typ namens DJ Hoologan. Joachim Reiser, unser Violinist wohnt noch in der Nähe von Mönchengladbach und arbeitet ebenfalls als Musiklehrer. Ich hörte, dass er letztes Jahr einen Herzinfarkt hatte. Seit 1974 habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Jürgen Dollase, Keyboarder, Musikwissenschaftler und Frontmann hatte einen großen Erfolg in den Achtzigern mit seiner neuen Bandaufstellung. Eine seiner Singles verkaufte sich 1,5 Millionen mal. Mit 40 Jahren hörte er mit dem Musikmachen auf und wandte sich einer seiner anderen künstlerischen Wurzeln zu. Malen. Nach längerer Zeit traf ich ihn vor 10 Jahren wieder. Wir wurden die Freunde, welche wir zu Wallenstein-Zeiten niemals so richtig waren. Jürgen, lange Zeit ein Fastfood Freak, wurde quasi über Nacht zum Gourmet. Seine Kochkunst ist mehr als fantastisch. Er begann für die Frankfurter Allgemeine einige Restaurantkritiken zu schreiben. Seit zwei Jahren ist er Teil der führenden Gourmet-Kritiker Deutschlands. Ich mag ihn sehr, gerade seiner extremen Gewohnheiten wegen. (Noch während Krautrock Towers dieses Interview macht, kommen Bill Barone und Harald nach mehr als 20 Jahren wieder in Kontakt. Wahnsinn!) Klaus-Dieter Mueller, Verleger von Klaus Schulze, hat sich mehrfach negativ über „das goldene Zeitalter des Krautrock“ besonders über den „Cosmic Joker“ Rummel geäußert. Wie denkst Du über diese Musik, welche in Deutschland in den frühen Siebzigern entstand und die wir schlechthin Krautrock nennen? Ich hatte gute Zeiten in den Kölner Dierks Studios. Außerdem war ich gerade mal ein 20 Jahre alter Anfänger. Wir ließen eben die Sau raus und machten unschuldige Musik. Einiges von dem Zeug, dass später veröffentlicht wurde, war Material, das ich niemals veröffentlicht haben würde. Ziemlich harter Tobak, wenn du verstehst, was ich meine. Es ist aber eine Schande, dass das meiste Material das damals aufgenommen wurde, niemals das Tageslicht sah. Mehr als 50 Stunden unveröffentlichtes Bandmaterial dürfte derzeit im Keller der Dierks Studios verfaulen. Was für eine Verschwendung von Kunst. Diese Schätze sollten eines Tages rauskommen. Du warst einer der ersten Schlagzeuger, die Sequenzer in ihre Arbeit einbanden, quasi das Rückgrat einer Menge an Musik, welche heute „Berliner Schule“ genannt wird. Wie kam es dazu? Es war im Sommer 1975. Ich besuchte Klaus Schulze in seinem Haus in der Nähe von Hannover. Er zeigte mir sein Moog Equipment und drehte an einer Maschine namens Sequenzer. Ich wurde von Gefühlen überwältigt. Der Rhythmus und extrem fesselnde Groove, der da rauskam, war überwältigend. Da kein Schlagzeug zur Hand war, schnappte ich mir einen leeren Korb und fing an, auf diesem herumzutrommeln. Klaus sagte mir später, dass ihn das sehr beeindruckt hatte, und so lud er mich ein, ihn auf seinem nächsten Album zu begleiten. Dieses Album war Moondawn. Du hast in der Vergangenheit bei vielen Gelegenheiten mit Klaus Schulze und Manuel Göttsching zusammengearbeitet. Wirst du mit einem der beiden in der nächsten Zeit spielen? Bisher wurden keine Pläne in dieser Richtung gemacht. Eine Menge Leute, die auf unsere Webseite kommen, werden interessiert sein zu erfahren, ob Du etwas an altem Archivmaterial aus den Siebzigern besitzt, dass vielleicht Tageslicht sehen sollte? Der Gedanke, meine eigene Musik zu machen, kam mir erst viel später. Bis 1980, als ich mein erstes Soloalbum „Synthesist“ einspielte, fühlte ich mich selbst als Schlagzeuger. Ein Musiker, der dazu bestimmt ist, anderer Leute Musik zu begleiten. Ich hatte bisher ausschließlich in Studios mit hohem technischen Standard aufgenommen. Ich wollte diesen Audio-Standard nicht unterlaufen und konnte mir eine solche große Studiotechnik nicht leisten, bis es praktisch erschwinglich wurde. Das ist einfach der Grund, warum ich keine geheimen Sachen auf Lager habe, ausgenommen der von mir bereits erwähnten Cosmic Joker Sessions, welche mir nicht zugänglich sind. Diese alten Zeiten mal ausgenommen, bin ich außerdem aktiv mit neuem Material beschäftigt. Ich mag Techno, Big Beat, Drum & Bass, Trance, House und so weiter. Ich bin offen für alle Arten von Musik, Hauptsache es ist originell. Es muss mich ansprechen. Welche Richtung hat Dein neues Album? Darüber mache ich mir überhaupt keine Gedanken und weiß es ganz einfach nicht. Wir benutzten modernstes Equipment und es klingt großartig. Die beste Musik, die ich jemals machte. Entscheide für dich selbst, in welche Art Schublade du es stecken möchtest. Ist ein Veröffentlichungstermin in Sicht? Wahrscheinlich Ende August auf einem britischen Label. Was inspirierte dich, ein afrikanisches Trommelbau Seminar Anfang des Jahres zu veranlassen? Die Szenerie sieht fantastisch aus! Das war mein Freund Alexandros Pajatakis. Ein junger Deutsch-Grieche, der Techno und meine Sachen mag. Er ist Gold- und Silberschmied und verbringt die Hälfte des Jahres auf der Insel Korfu, wo sein Vater geboren wurde. Er produziert und verkauft seine sowie die Produkte einer Arbeitsgemeinschaft für Kunstschmuck, namens ILIOS, auf der Insel. Seit einigen Jahren baue ich gelegentlich Trommeln aus Material, welches Leute für gewöhnlich wegschmeißen. Manchmal benutze ich gewaltige Blumentöpfe aus Kunststoff. Letztes Jahr bot er mir an, diesen Trommel-Workshop zu organisieren. Wir machten es dann im April diesen Jahres. Die Trommeln wurden aus altem, trockenen Kischbaumholz hergestellt. Die Trommelfelle stammen von Ziegen. Der Sound ist außergewöhnlich und von bester Qualität. Bleibt zu hoffen, dass dieser Workshop während der nächsten Jahre fortgesetzt wird. Es machte, mal abgesehen von der schweren körperlichen Arbeit, eine Menge Spaß unter den perfekten Bedingungen der Umgebung. Korfu ist die grünste Insel des griechischen Archipels, besonders im Frühling. Pagi, ein kleines Dorf an Korfus Nord-West Küste ist bis jetzt vom Tourismus unberührt geblieben. Wie hast Du Deine gegenwärtigen Mitstreiter, Axel Manrico Heilhecker (Gitarre) und Steve Baltes (Keyboards, Programmierung) kennen gelernt? Ich traf Steve vor acht Jahren in seinem Studio. Nach meiner Zeit in Berlin ging ich zurück nach Mönchengladbach. Irgendwer erzählte mir, dass es einige Musiker gebe, die mich gerne kennen lernen würden. Ich war natürlich interessiert, und dachte daran, dass es keine schlechte Idee wäre, einen Platz zu kennen, wo ich vielleicht produzieren konnte. Also rief ich beim Studio an und hatte Steve an der Strippe. Wir hatten sogleich ein gutes Gefühl; also ging ich hin und kam rein zufällig mit der lokalen Technoszene in Berührung - einschließlich des jungen Labels „Le Petit Prince“. (Welche heute recht erfolgreich mit ihrem Label „Alphabet City“ sind...) Von dem Moment an, begannen Steve und ich gemeinsam Musik zu machen. Wir benannten die Projekte „N-Tribe“ (meist auf Vinyl) sowie „Holo Syndrome“. Als dann Ashra ein Angebot bekam, in Japan aufzutreten, war mein erster Gedanke, Steve in die Besetzung einzubeziehen. (Zu hören auf Ashra/@shra und Ashra/@shra2 , veröffentlicht 1998/2001) Axel Heilhecker traf ich das erste Mal 1995, im Studio eines Freundes und mochte ihn sofort. Er ist einer der besten Gitarristen Deutschlands. Er schlug mir vor, mein drittes Soloalbum zu produzieren. Aber er brachte zur sehr sein Instrument (bzw. so gut in die Aufnahmen) mit ein, so dass wir uns entschieden, diese Aufnahmen unter SUNYA BEAT zu veröffentlichen. Später kam Steve (im Anschluss) und während diverser Liveauftritte hinzu (ist bei den Liveauftritten immer dabei). Sunya Beat, quasi dein neues Aushängeschild, hat einen sehr weltoffenen Namen. Wie würdest du die Musik deiner Musikgruppe umschreiben? Das erste Album war komplett handgemachte Musik und grundsätzlich wurde zuerst das Schlagzeug und Perkussion aufgenommen. So bekam alles einen atmosphärischen, an ethnischer Weltmusik orientierten Stil. Nachdem Steve hinzugekommen war, kamen außerdem Technoelemente in die Musik. Insbesondere während der Live-Auftritte. Welche Musik hörst du nach einem harten Arbeitstag im Studio? Nach sieben, acht oder zwölf Stunden “Studiokrach” ziehe ich eigentlich Ruhe vor. Meine Lieblings’ E-Band ist „Underworld“. Ich mag Peter Gabriel, Art Of Noise, Miles Davis, Bulgarische Frauenchöre, Mongolische Folklore, Edvard Grieg, Gustav Mahler, Jimi Hendrix, Phillip Glass, Steve Reich, Drum & Bass, Rapmusik, usw... Hast du irgendwelche musikalische Ambitionen, die du gerne erfüllen würdest? Ich tue das, was ich eben gern mache oder machen will, solange bis ich in die Kiste hüpfen muss. Rückblickend auf die Musikgeschichte, mit wem hattest Du am liebsten Schlagzeug gespielt? Mit Klaus Schulze auf „Moondawn”, sowie Ashra auf „Correlations“. Recht herzlichen Dank für Deine Zeit und „danke“ dass du uns all die Jahre mit guter Musik versorgt hast! Gern geschehen! Interview: Krautrock Towers Übersetzung und Bearbeitung: Marcel Vogel, September 2002 __________
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